Bürgersprechstunde im Alten Rathaus …
von Hans-Jürgen Fuchs, 31.01.2017
Foto: Claudia Rink
Die Bürgersprechstunde von AFD-Gemeinderat Mathias Niebel, beziehungsweise deren Absage schlägt aktuell Wellen in den sozialen Netzen. Dabei werden viele Fakten und – wie das heute so üblich ist – alternative „Fakten” verbreitet. Deshalb hier das, was aus unserer Sicht zu dem Abend und seiner Vorgeschichte gesagt werden kann, eine Beschreibung dessen, was unmittelbar um das Rathaus herum geschah, in der Zeit in der ich selbst vor Ort war.
Als uns vor vielen Monaten die Anfrage von ihm erreicht hatte, haben wir im Stadtteilverein lange und ausführlich darüber diskutiert, ob wir ihm den Raum zur Verfügung stellen wollen. Wir haben uns damals mit knapper Mehrheit entschieden, das zu tun, die Vergabe des Raums aber daran zu koppeln, dass es sich um eine reine Bürgersprechstunde handelt, nicht um eine politische Veranstaltung.
In unserer Zusage im April 2016 an Herrn Niebel hieß es:
„Ich will nicht verhehlen, dass uns die Entscheidung, das Rathaus an Sie zu vermieten, sehr schwer gefallen ist, und dass die Mehrheit nach langer, eingehender Diskussion sehr knapp ausfiel. Der Stadtteilverein Rohrbach versteht sich als Wahrer der Interessen Rohrbachs und damit aller Rohrbacher – unabhängig von Geschlecht, Parteizugehörigkeit, Religion etc. Wir verstehen es als unsere Aufgabe, widerstrebende Teile der Gesellschaft zusammenzuführen und zum sozialen Frieden vor Ort beizutragen. Viele führende Mitglieder ihrer Partei haben sich in den letzten Wochen und Monaten durch Stellungnahmen hervorgetan, die unseren Zielsetzungen widersprechen und zur Spaltung der Gesellschaft beitragen. Darunter waren Aussagen, die wir als zutiefst rassistisch und gegen die demokratischen Grundwerte unserer Gesellschaft gerichtet ansehen. Wir verurteilen solche Aussagen ausdrücklich und werden ihnen in unserem Haus keinen Rahmen bieten.
Andererseits handelt es sich bei der Kommunalwahl um eine Persönlichkeitswahl und uns ist auch nicht bekannt, dass Sie selbst sich persönlich in ähnlicher Weise in der Öffentlichkeit geäußert hätten. Deshalb gebietet uns der Respekt vor Ihren Wählerinnen und Wählern und der vor Ihrem Amt, Ihnen den Raum zu vermieten.
Wir möchten allerdings darauf hinweisen, dass es sich bei Ihrem Angebot um eine reine Bürgersprechstunde handeln muss und nicht um eine politische (Info-) Veranstaltung. Das Auslegen, Aufhängen, Verteilen oder Hinterlassen parteipolitischer Werbe- materialien ist ausdrücklich nicht gestattet! Dies gälte im Übrigen natürlich auch für ähnliche Veranstaltungen anderer Parteien.”
Als Herr Niebel dann einen konkreten Termin, den 30. Januar 2017, nannte, haben wir diesen zugesagt. Kurz vor der geplanten Bürgersprechstunde wurde uns dann ein Flugblatt bekannt, das Herr Niebel offenbar mindestens im Hasenleiser verteilt hat. Auf der einen Seite des Flugblatts wurde auf die Bürgersprechstunde hingewiesen. Auf der anderen Seite wandten sich Herr Niebel und die Bezirksbeirätin Katja Kornmacher dann aber explizit an die Anwohnerinnen und Anwohner des Kolbenzeils. Die dort geplante Unterkunft für 80-88 Asylbewerber wird als „Massenunterkunft” bezeichnet. Die beiden erklären, dass sie die Ängste und Befürchtungen der Anwohner teilen und fordern keine weiteren „Flüchtlingskontingente” aufzunehmen und die vorhandenen Flüchtlinge „dezentral und kleinteilig” unterzubringen, „da, wo auch die Willkommensgesellschaft lebt”, also in Neuenheim, der Altstadt, der Kern-Weststadt, in Schlierbach und in Alt-Rohrbach. An dieser Stelle werden auch die Stadtteilvereine dezidiert kritisiert: „Die Asyl-Arbeitskreise und die „Willkommensgruppen“ der Stadtteilvereine sprechen nicht für die Mehrheit der Bevölkerung.”
Bei uns entstand der Eindruck, dass es Herrn Niebel und Frau Kornmacher weniger darum ging, Fragen und Anregungen aus der Bürgerschaft aufzunehmen, sondern darum, Stimmung zu machen und daraus parteipolitische Vorteile zu ziehen. Deshalb regte sich im Stadtteilverein nach Bekanntwerden des Flugblatts großer Unmut und es wurden Forderungen laut, die Überlassung des Rathauses zu widerrufen, da Herr Niebel mit seinem Aufruf eindeutig gegen den Rahmen verstieß, den wir für die Nutzung des Raumes gesetzt hatten. Andererseits gab es aber auch Stimmen, die darauf hinwiesen, dass das Vorgehen von Herrn Niebel voll auf der Linie der Wahlkampfstrategie der AFD liegt, mit „sorgfältig geplanten Provokationen“ die anderen Parteien zu nervösen und unfairen Reaktionen verleiten. Je mehr die AfD dadurch stigmatisiert werde, desto positiver sei das für das Profil der Partei (http://www.faz.net/aktuell/ politik/inland/bundestagswahl-2017-afd-will-im-wahlkampf-provozieren-14582830.html). Würden wir nun den Zugang zum Alten Rathaus verwehren, spielten wir ihm nur in die Hände. Und würden Besucher vor verschlossener Tür stehen und Herr Niebel seine Bürgersprechstunde möglicherweise demonstrativ im Freien abhalten, würden wir geradezu ins offene Messer der AFD-Strategie laufen und unwillentlich seine Bürgersprechstunde aufwerten. Zu dieser Befürchtung passte auch die Tatsache, dass Anwohner der geplanten Flüchtlingsunterkunft, die wir befragten, die Flugblätter nicht erhalten hatten, sodass diese möglicherweise nur sehr begrenzt verteilt worden waren.
Nach ausgiebiger, angesichts des nahen Termins unter Zeitdruck stehender, Diskussion haben wir im Vorstand des Stadtteilvereins dann entschieden, die Nutzungsgestattung nicht zurückzunehmen. Allerdings fühlen wir uns durch die Art, wie Herr Niebel seine Sprechstunde beworben hat, hintergangen und der Stadtteilvereinsvorstand wird deshalb auf der nächsten Sitzung des Vorstands/Beirats des Stadtteilvereins beantragen, ihm künftig die Nutzung des Rathauses nicht mehr zu gestatten.
Der Abend selbst war dann durchaus aufregend. Die AFD hatte auf ihrer Website 16.30 – 17.30 Uhr als Zeitrahmen für die Sprechstunde genannt, auf dem Flugblatt stand 18.00 – 19.00 Uhr – so war es auch mit uns abgesprochen. Ich selbst war gegen 17.00 Uhr vor Ort. Vor dem Rathaus standen ca. 40 vorwiegend junge Menschen. Später sollte die Menge trotz des Regens auf circa 100 Menschen anwachsen, darunter, neben Stadtteilvereinsleuten, u.a. auch viele Vertreter von punker, Asylarbeitskreisen, SPD, CDU und Grünen. Das Rathaus war in der Nacht vorher mit etwa 20-30 Anti-AFD-Aufklebern verunziert worden … unschön und unnötig. Trotzdem: die Stimmung am Abend selbst war absolut friedlich. Ich kann das beurteilen, denn als ich ans Rathaus kam hielt man mich für Herrn Niebel. Trotzdem ging mich niemand aggressiv an. Auch als ich zu den Anwesenden sprach, als Herr Niebel nach einem Gespräch mit der Polizei beschlossen hatte, die Sprechstunde nicht durchzuführen, erntete ich keinerlei aggressive Reaktion, obwohl ich auch darstellte, dass und warum wir als Mieter des Alten Rathauses den Raum für die Sprechstunde zu Verfügung gestellt hatten. Es gab einige Nachfragen und durchaus auch positive Rückmeldung für unsere Argumentation.
Ich selbst war bis ca. 19.00 Uhr vor Ort und bin dann, in Absprache mit der Polizei, gegangen. Während dieser Zeit habe ich nirgends aggressives Verhalten gesehen. Es gab keine Sprechchöre und nur ein einziges Transparent, auf dem „Solidarität” stand und das auch erst nach 18.30 Uhr und nur kurz hochgehalten wurde.
Ein Nachtrag
In einem gut recherchierten Artikel der Rhein-Neckar-Zeitung vom 1.2.2017 ist die Rede davon, dass die Polizei eine Bombenattrappe am Alten Rathaus gefunden habe: „Allerdings stellten die Polizisten die Attrappe einer Dynamitstange sicher, die mit Klebeband an die Rathauswand geklebt worden war. "Es war offensichtlich, dass dies nur eine Attrappe war", so der Sprecher. Der Urheber habe offenbar gewollt, dass sie nicht echt aussehe. Der Staatsschutz beschäftige sich nun dennoch damit.”
Dazu muss ich sagen: Bombenattrappen sind keine Diskussionskultur. In Zeiten, in denen Menschen durch Anschläge sterben, sind sie meines Erachtens mindestens geschmacklos. Kreative Aktionen sehen anders aus!