Pogromnachtgedenken 2024

Beitrag von Hans-Jürgen Fuchs

Mehr als ein Jahr ist vergangen seit dem Pogrom der Hamas an Menschen in Israel. Und der Krieg im Nahen Osten ist weiter täglich in den Schlagzeilen. Es ist schwierig zu verstehen, was genau dort vor sich geht. Es gibt Angriffe und Verteidigung, Täter und Opfer, Schuldige und Unschuldige. Es gibt Wahrheit und Lüge und Interessen, die nicht immer durchschaubar sind.

Es ist schwer, angesichts dessen, einen einigermaßen klaren Kopf zu bewahren. Aber auch in politisch zugespitzten Diskursen, vielleicht sogar vor allem darin, ist es notwendig, Dinge auseinanderzuhalten, die nicht zusammengehören. Ich meine damit die Diskussion um den Krieg im Nahen Osten einerseits und andererseits das, was in Deutschland zum Thema Antisemitismus zu sagen ist. Zu einem Tsunami an Antisemitismus, den wir hier seit dem 7. Oktober 2023 erleben, wie das der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, nennt.

Wenn wir uns in den letzten Jahren mit dem Thema beschäftigt haben, dann vor allem mit dem Antisemitismus der politischen Rechten. Und der zeigt sich heute offener denn je. Aber aktuelle Untersuchungen, zum Beispiel der Ebert-Stiftung, zeigen auch, dass antisemitische Einstellungen bis weit in die Mitte der Gesellschaft hineinreichen. Und neben all dem dürfen wir weitere Arten der Bedrohung nicht aus den Augen verlieren: den muslimischen, den Israel-bezogenen und den woken Antisemitismus.

Der Israel-bezogene Antisemitismus projiziert seine Ressentiments auf den Staat Israel und seine Demokratie ohne Juden offen als Juden anzugreifen.

Und der woke Antisemitismus? Den gibt es auch. Und der ist gar nicht so neu. Sascha Lobo kritisierte diesen im Februar 2022 auf Spiegel online. Er wandte sich gegen Amnesty International, die Israel einen Apartheid Staat nennt oder Claudia Roth und Jürgen Trittin, die es im Bundestag ablehnten, die Aktivitäten des BDS zu verurteilen.

Lobo schrieb damals: Wenn die terroristische Hamas die Zivilbevölkerung in Israel angreift, stellen die Headlines die Antwort Israels auf militärische Ziele als ursprüngliche Aggression dar – Israel bombardiert Gaza, eine Täter-Opfer-Umkehr also. Wie gesagt: das war im Februar 2022, 20 Monate vor dem Massaker der Hamas bei dem mehr als 1.000 Unschuldige bestialisch ermordet wurden – so viele wie in der Pogromnacht in Deutschland. Danach skandierten einige hundert linke und migrantische junge Menschen vor dem deutschen Außenministerium „Free Palestine from German Guilt.“ Sie wollen endlich mit der Nazigeschichte abschließen, nur halt von links. Alexander Gauland dürfte das freuen.

Es ist natürlich nachvollziehbar und berechtigt, wenn auch in unserem Land Fragen gestellt werden, ob das Vorgehen der israelischen Regierung verhältnis- und rechtsmäßig ist. Hier gibt es keine Denkverbote, wie es die linke amerikanische Philosophin Judith Butler behauptet. Dieselbe Frau übrigens, die die Terrororganisationen Hamas und Hisbollah zum „Teil der globalen Linken” stilisiert.

Nein, diese Fragen dürfen gestellt werden und sie werden täglich gestellt … in Deutschland und im Übrigen auch in Israel.

So nachvollziehbar und berechtigt unsere Fragen mit Blick auf Gaza und den Libanon also sind, so wenig ist vieles eine politische Meinung, was von einer links-islamistischen Querfront auf deutschen Straßen skandiert wird, was teilweise an deutschen Hochschulen gefordert wird und von manchen deutschen Künstlerinnen und Künstlern propagiert wird.

So notwendig es ist, auf das der Leid der Palästinenser hinzuweisen so antisemitisch ist es, „From the River to the Sea” zu rufen und klammheimliche oder offene Freude über Morde an Juden zu zeigen. Das macht aus der Forderung nach „Freiheit für Palästina” einen Ruf zur Vernichtung Israels.

Und das ist keine Meinung. Es ist eine Drohung. Es ist ein Angriff nicht nur auf Deutsche jüdischen Glaubens, sondern auf uns alle, auf die Werte, die für unsere Gesellschaft fundamental sind. Es ist übelster Antisemitismus.

Die Diskriminierung von Juden in Form von wokem, muslimischen oder Israel-bezogenem Antisemitismus scheint bei vielen Leuten und Organisationen, die sich selbst für aufgeklärt und empathisch halten, einfach nicht zu zählen. Sie nehmen es nicht wahr oder sie nehmen es hin, wenn Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland angegriffen werden, weil sie Juden sind, weil sie jüdische Symbole tragen, weil sie um die Opfer des Terrors trauern. Statt Opfersympathie gibt es Victim Blaming, die Opfer werden also für die Taten der Täter verantwortlich gemacht.

Das ist nicht woke, das ist nicht links, das ist nicht anti-imperialistisch. Es ist einfach nur antisemitisch und rassistisch.

Sich gegen jede Form des Antisemitismus zu stellen, ist keine hinreichende, aber eine notwendige Voraussetzung mitzuhelfen, dass der Faschismus in diesem Land nie wieder eine Chance erhält. Auch deshalb sind wir heute hier.