FLUCHT HAT VIELE GESICHTER: Familie Berisha und das Kirchenasyl

von Ludwig Schmidt-Herb (21.1.2016)
Fotos: Hans-Jürgen Fuchs und Uwe Bellm 

Der Fall machte 2001/2002 Schlagzeilen weit über Heidelberg hinaus: die in Ziegelhausen lebende Familie von Gezim und Filoreta Berisha mit ihren 3 Kindern, seit 12 Jahren in Deuschland anerkannt als Asylberechtigte und längst hier integriert, sollte plötzlich abgeschoben werden in ihr Herkunftsland Albanien. Die Sozialhilfekosten für die 13-jährige behinderte Tochter seien nicht mehr tragbar, so das zuständige Amt der Stadt. Eine Welle von Solidarität brach los, der „Arbeitskreis Asyl Heidelberg“ nahm sich der Sache an, über 1500 Unterschriften aus der ganzen Stadt forderten den Verbleib der Familie, darunter Prominente wie die Dichterin Hilde Domin. Die Arbeitgeber der Berishas, die Schulen und Sportvereine der Kinder, die Kirchengemeinden zeigten Solidarität, aber die Ausländerbehörde blieb hart: freiwillige Ausreise oder Abschiebung mit Gewalt.

Da bot sich als letzte Möglichkeit das Kirchenasyl. In Ziegelhausen fand sich keine Möglichkeit, aber der Pfarrer der evangelisch-lutherischen Thomas-Gemeinde in Rohrbach konnte seinen Kirchenvorstand dafür gewinnen. So zogen die Berishas am 9. März 2002 in die Rohrbacher Thomaskirche im Hasenleiser, und erst nach 282 Tagen, nachdem die Stadt endlich eingelenkt hatte, konnten die das Asyl wieder verlassen. Soweit die kurze Chronik der Ereignisse von damals.

Heute, 12 Jahre später, trafen sich, eingeladen vom punker e.V. und dem Stadtteilverein Rohrbach im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Flucht hat viele Gesichter“, die Hauptakteure von damals wieder: Frau Filoreta Berisha, Frau Ulrike Duchrow von AK Asyl Heidelberg und Herr Pfarrer i.R. Ekkehart Heicke von der Thomas-Gemeinde. Aber nicht nur sie brachten ihre Erinnerungen mit, die große Mehrheit der Zuhörer im Saal nahmen damals Anteil an dem Fall, entweder direkt als Helfer oder aber als solidarische Unterzeichner der Petition und Unterstützer der Berishas.

 

 
Annette Bellm vom AK Asyl Rohrbach führte durch den Abend und stellte zunächst die musikalischen Gäste vor: das „IGH-Recycling-Orchester“ der Klassen 7 + 8. Auf diversen einfachen Instrumenten wie Deckeln, Metallstäben, kleinen Gongs und Klangschalen spielten sie die rhythmische Begleitung zu zwei Liedern: 1. dem umgeschriebenen Bruder-Jakob-Kanon: „Bruder Mehrdad, Schwester Mehrnousch, hörst du nicht, hörst du nicht die Glocken? Komm dorthin!“, 2. einem Sprechgesang, in dem fünf der Menschenrechtsartikel wörtlich zitiert wurden.

Dann hatte Frau Duchrow das Wort. Sie schilderte, wie die Familie Berisha 1990, im damals noch stalinistischen Albanien, wegen der Roma-Herkunft des Mannes verfolgt wurde und über die deutsche Botschaft nach Deutschland fliehen konnte. Hier wurden sie zwar als Asylanten anerkannt, aber ihr Bleiben war nur „geduldet“. Dieser Zustand dauerte 12 Jahre, und in dieser Zeit hatte sich die Familie faktisch weitgehend integriert, die Eltern hatten feste Arbeit, die Kinder waren in der Schule, das behinderte Mädchen hatte einen Platz in der Kooperationsklasse der Graf-von-Galen-Schule. Und da wurde dann aus heiterem Himmel die Duldung plötzlich entzogen. Eine Rückkehr nach Albanien war unmöglich, sie hätte die Familie ins tiefste Elend gestürzt. Da sich die Ämter trotz aller öffentlichen Solidaritätsbekundungen unnachgiebig zeigten, blieb nur die Option des Kirchenasyls. Das sei allerdings – so führte Frau Duchrow aus - nur die ultima ratio, wenn alle politischen Mittel ausgeschöpft seien, aber doch noch Hoffnung bestehe auf juristischen Erfolg. Dann könne man so „Zeit gewinnen, den Rechtsstaat zum Recht zu bringen“. Und das habe dann, dank der großen und dauerhaften Hilfe von engagierten Bürgern, IGH-Schülern, Anwälten, der Presse und aller Kirchen endlich auch zum guten Ende geführt.

Filoreta Berisha bedankte sich dafür bei allen, die damals für sie da waren und auch heute wieder gekommen waren. Es sei eine sehr schwere Zeit gewesen für sie alle, aber sie habe bei der großen Hilfsbereitschaft immer daran geglaubt, dass es gut ausgehen würde. Heute seien sie alle ganz normale Heidelberger. Sie selbst ist jetzt Fachverkäuferin in der Fischabteilung bei REWE in Rohrbach, und erst vor kurzem hat sie einen Einzelhandels-Preis gewonnen als beste Fachverkäuferin. Auch ihr Mann und ihre Kinder sind beruflich bestens ausgebildet und integriert, selbst die behinderte Tochter Margilen hat sich gut entwickelt und hat inzwischen eine Job. Heidelberg sei für alle zur Heimat geworden, und sie alle würden gerne hier arbeiten, weil ihnen ihre Arbeit Spaß mache.

Ekkehart Heicke, der damalige Pfarrer der Thomas-Gemeinde erzählte dann sehr anrührend, wie er damals zusammen mit dem Kirchenvorstand spontan entschied, die Familie in seiner Kirche aufzunehmen. Sie wohnten und schliefen auf der Orgelempore, ein kleiner angrenzender Gemeinderaum war die Wohnküche, in der Sakristei war das Kinderzimmer und das Kirchenschiff war Treffpunkt, Spielplatz und „Raum für alles“. Und beim Sonntagsgottesdienst waren die Berishas als Muslime einfach dabei. 282 Tage dauerte die Asylzeit in der Kirche, und in dieser Zeit hat Herr Berisha die gesamte Bestuhlung der Kirche neu gestrichen. Auch Herr Heicke betonte nochmals, dass ohne die große öffentliche Unterstützung, aber auch durch den Rückhalt beim Diakonischen Werk und den kirchlichen Dekanaten Heidelbergs die Aktion nicht so glücklich ausgegangen wäre. Dieser Zusammenhalt der Kirchengemeinden, so betonte er, habe etwas mit dem Glauben zu tun, und er gab zu bedenken, dass wir alle auch die aktuelle Flüchtlingssituation als Aufgabe annehmen müssen, im Namen Gottes zu teilen.

Annette Bellm bedankte sich für dieses Abschlußwort und wollte schon den Abend beschließen, als ein Teilnehmer im Saal darauf hinwies, dass Frau Berisha heute Geburtstag habe. So fand mit einem gemeinsamen Geburtstagskanon für Filoreta Berihsa dieser Abend ein überraschend schönes und passendes Ende.