Pogromnachgedenken 2017
Begrüßung: Hans-Jürgen Fuchs (09.11.2017)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, seit einigen Jahren kommen wir am Abend des 9. November zusammen, um auf die Wunde hinzuweisen, die unserem Stadtteil geschlagen wurde und um die Erinnerung an unsere vertriebenen und getöteten Mitbürger wachzuhalten und damit einen kleinen Beitrag leisten, dass so etwas nie wieder in unserem Land passiert. Und das ist heute nötiger denn je.
Erinnern Sie sich noch an den Historikerstreit? Das war ein Streit, den vor allem Ernst Nolte auslöste, als er vor 30 Jahren in seiner Schrift die „Vergangenheit, die nicht vergehen will“, den Holocaust und die deutsche Schuld daran zu relativieren versuchte. In dieser Schrift sprach er von „volkspädagogischen“ Vorurteilen über die deutsche Schuld und von einer „geistigen „Reeducation“ der Deutschen nach 1945 durch die West-Alliierten“.
Das ist nun 30 Jahre her. Und auch heute müssen wir wieder einmal feststellen, dass es den Versuch einer Revision der deutschen Geschichte gibt. Betreiber sind diesmal keine Wissenschaftler, sondern Politiker populistischer Parteien. Beispiele dafür sind Reden von Börn Höcke und Alexander Gauland. Beide erwecken den Anschein, als würde den Deutschen von einer despotischen „politischen Korrektheit“ der unbefangene Zugang zu ihrem eigentlichen Wesen versperrt. Dem setzen Sie eine Strategie gezielter „Enttabuisierung“ von historisch diskreditierten Reizworten entgegen.
Höcke meint zum Beispiel „... diese dämliche Bewältigungspolitik, die lähmt uns ... Wir brauchen nichts anderes als eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad."
Und Gauland sagt: „Man muss uns diese zwölf Jahre (1933-1945) nicht mehr vorhalten. .... Wenn Franzosen und Briten stolz auf ihren Kaiser oder den Kriegspremier Winston Churchill sind, „haben wir das Recht, stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“.
Höcke und Gauland und Konsorten vollziehen damit keinen Wiederanschluss an eine dem deutschen Volk angeblich geraubte historischen Tradition, sondern machen im Gegenteil den Versuch einer Auslöschung historischen Bewusstseins.
Wir dagegen möchten mit dieser Veranstaltung angehen gegen das Vergessen und die Versuche der Uminterpretation unserer Geschichte. Wir möchten die Erinnerung wach halten an das, was geschehen ist: Der Zweite Weltkrieg begann am 1. September 1939 mit dem Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen und endete in Europa am 8. Mai 1945 mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Historiker schätzen die Zahl der Kriegsopfer auf weltweit 60 bis 70 Millionen. 20 Millionen Juden wurden ermordet. Das ist eine Zahl, die so abstrakt ist, dass wir sie uns gar nicht vorstellen können.
Umso wichtiger ist es, dass wir den Opfern ein Gesicht geben. Letztes Jahr stand Albert Fraenkel im Mittelpunkt der Veranstaltung, der Gründer der Thoraxklinik. Dieses Jahr stellen wir einen weniger prominenten Menschen in den Mittelpunkt. Michael Ehmann berichtet von Ruth Veith Simon, eine jüdische Patientin an der Thoraxklinik im Sommer 1940.