Heimat Rohrbach

Rede des Stadtteilvereinsvorsitzenden Hans-Jürgen Fuchs
zum Festakt zu den 1250 Jahrfeiern in Rohrbach am 1. Juli 2016

Danksagungen

Liebe Rohrbacherinnen und Rohrbacher, liebe Gäste.
Karl Heinz Frauenfeld, unser verstorbener Ehrenvorsitzender, schreibt in seiner Ortschronik „Rohrbach im Wandel der Zeit”: „Dass die Rohrbacher Feste feiern können, das haben sie … bei der 1200 Jahr Feier (1966) gezeigt. Möge das so bleiben.”

Ich denke: Das können wir heute immer noch! Das was wir dieses Jahr auf die Beine gestellt haben, kann sich wirklich sehen lassen. Und dass das so ist, daran haben viele viele Menschen gearbeitet, seit über drei Jahren.
Und denen möchte ich von ganzem Herzen gratulieren.

Denn gratulieren heißt eigentlich vom Wortstamm her danken. Das steckt ja auch in dem Wort Gratifikation. Aber Gratifikationen kriegen heutzutage auch Manager, die große Unternehmen an die Wand fahren.

Bei uns hier wird zwar nichts an die Wand gefahren, aber leider gibt es auch kein Geld für diesen ehrenamtlichen Kraftakt.
Dafür aber einen großen Dank!

Und der geht zuerst einmal an meine Kolleginnen und Kollegen im Koordinierungsausschuss.

  • Uwe Bellm
  • Hans-Peter Droste
  • Erica Dutzi
  • Thomas Fischer
  • Bernd Frauenfeld
  • Michael Gail
  • Heinz Kaltschmidt
  • Michael Kraft
  • Chris Mench
  • Siegfried Michel
  • Wolfgang Späth
  • Josef Scherhaufer
  • Ludwig Schmidt-Herb
  • Karin und Peter Weidenheimer
  • und Jürgen Ziegler

Viele Rohrbacher Vereine und Institutionen haben uns intensiv unterstützt und sich auch mit Veranstaltungen am Jubiläumsjahr beteiligt

  • Eichendorffschule
  • Freiwillige Feuerwehr
  • Rohrbacher Kirchengemeinden
  • der Liederkranz
  • und der Sängerbund
  • Obst-, Garten- & Weinbauverein
  • Polizeirevier Heidelberg-Süd
  • der punker
  • Rohrbacher Jungs
  • Rotes Kreuz
  • Schützengesellschaft
  • Sängereinheit
  • Spielmannsverein
  • Turnerbund (TBR)
  • Thoraxklinik
  • die TSG

Unser besonderer Dank für die intensive und gute Zusammenarbeit gilt den Hauptsponsoren, der Heidelberger Volksbank, ohne deren großzügiges Engagement die Festschrift nicht möglich gewesen wäre und einiges mehr auch nicht
und den Stadtwerken Heidelberg, ohne die wir diesen schönen Himmel nicht hätten.

Auch allen anderen, die uns finanziell unterstützt haben, danken wir herzlich: der Stadt Heidelberg, der Badischen Beamtenbank, der Sparkasse Heidelberg, der Volksbank Kurpfalz und dem VdK Sozialverband, Ortsverband Rohrbach.
Wir danken Oberbürgermeister Dr. Würzner für die Übernahme der Schirmherrschaft  für das Jubiläumsjahr, Xenia Hirschfeld vom Gebäudemanagement der Stadt Heidelberg für ihre wohlwollende Hilfe und der Schlosserei Weese, dem Maler Hauck und Johannes Bär für ihre Unterstützung beim Umwandeln der Halle.

Ebenfalls gilt unser Dank allen, die uns mit kleinen und größeren Spenden geholfen haben.

So ein Jubiläum ist ja eine gewichtige Sache. Das können die bestätigen, die das Jubiläum vor 50 Jahren schon erlebt haben. Und so ein Jubiläum ist natürlich ein Anlass, Bilanz zu ziehen, sich die Vergangenheit anzusehen, die Gegenwart und ein bisschen in die Zukunft zu blicken …

… und das ist meine Aufgabe heute. Ich möchte diese Gedanken um zwei Begriffe spinnen: Natürlich zum einen um „Rohrbach” und zum anderen um den Begriff der „Heimat”.

Heimat

Beginnen wir mit dem Begriff „Heimat”. In meiner Kindheit kam Heimat meist in Verbindung mit dem Wort Film vor. Damals gab es im Fernsehen nur zwei Sender und wenig Wiederholungen. Die waren in den Zeitschriften extra markiert.

Und Wiederholungen damals – waren gar nicht gut. Wenn es dann doch mal eine gab, dann schimpfte meine Mutter und wünschte sich stattdessen „einen schönen deutschen Heimatfilm”. Und deutsche Heimatfilme waren meistens mit Luis Trenker oder Lieselotte Pulver und spielten vorzugsweise in den Alpen oder in Ungarn.

Später, in meiner Jugend, war „Heimat” durchaus ambivalent besetzt. Die 68er-Bewegung hatte ihre Finger in offene Wunden gelegt und gezeigt, wie stark auch aktive Politiker und Wirtschaftsführer in die Machenschaften der Nazidiktatur verstrickt gewesen waren. Die „Liebe zur Heimat” erschien nicht nur mir in diesem Zusammenhang als konservativ, wenn nicht gar als reaktionär.

Dafür bitte ich um Nachsicht. Man kann sich das damalige Leben jetzt eigentlich nicht mehr vorstellen. Vieles, was heute völlig normal ist, war damals verpönt und wurde manchmal sogar strafrechtlich verfolgt. Selbstverständlich bekamen unverheiratete Paare keine Wohnungen und man diskutierte ernsthaft die Frage, ob Frauen Hosen anziehen dürfen.

Und Filme, die heute im Vorabend-Programm laufen, zwischen Werbung für Granufink und Thermacare, hätten zu jener Zeit auf dem Index gestanden ...
Viele Gedanken über diese „Heimat” machten wir uns allerdings damals zugegebenermaßen nicht. Trotzdem habe ich interessanterweise meine Magisterarbeit, die sich mit den Fremden in Deutschland und unserem Umgang mit ihnen beschäftigte, mit einem Zitat des Ludwigshafener Philosophen Ernst Bloch beendet.

Bloch, Vordenker der 68er, schrieb in seinem Prinzip Hoffnung:
„Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende … Hat der Mensch … das Seine … in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.”
Aus: Bloch, Ernst: Das Prinzip Hoffnung. Bd. 3. Frankfurt/Main 1969, S. 1628.
Er schrieb es … im US-amerikanischen Exil …

„Heimat” ist hier etwas durchaus Positives, das allerdings nicht wirklich existiert, jedenfalls nicht im Hier und Jetzt, sondern eine Sehnsucht ist, eine Art säkulares Himmelreich.

Rohrbach

Kommen wir zum zweiten Pol meiner Ausführungen und nun endlich nach Rohrbach. Und da steht naturgemäß der Anlass am Anfang, warum wir heute 1.250 Jahre Rohrbach feiern und nicht 2.000 Jahre oder 7.000.
Denn Rohrbach ist natürlich viel älter als 1.250 Jahre. Ausgrabungen zeigen, dass bereits in der Steinzeit, vor mehr als 7.000 Jahren, hier Menschen lebten. Und schon damals floss der Rohrbach. Nur haben die Steinzeitmenschen uns nichts Schriftliches hinterlassen – keine alte Urkunde, in Stein gemeißelt, auf der „Rohrbach” und vielleicht „5.000 vor Christus” steht.

Also müssen wir die erste nachgewiesene schriftliche Erwähnung Rohrbachs zugrunde legen, wenn wir ein Jubiläum feiern. Und das ist eine Urkunde aus dem Lorscher Codex vom 31. Dezember 766.

Dort heißt es, dass das Ehepaar Richgard und Theuthard aus Rohrbach einen Weinberg an das Kloster stiftete. Diese milde Stiftung „erfolgt auf göttliche Eingebung, zu unserem Seelenheile und um der Wiedervergeltung in der Ewigkeit willen …”
Das Ganze war bemerkenswert juristisch abgesichert.

So heißt es in der Urkunde weiter:
„… wenn wir selbst aber oder einer unserer Erben oder Nacherben oder sonst ein missgünstiger Mensch gegen diese von uns gemachte Schenkung anzukämpfen versuchen sollten …, so hüte er sich, dass er nicht den Zorn des allmächtigen Gottes auf sich herabziehe. Außerdem aber komme er vor das öffentliche Gericht und, von diesem verurteilt, entrichte er zugunsten dieser Stätte eine Buße in der Höhe von zwei Pfund Gold
und drei Rohpfund Silber. …”

Ich möchte nun keine historische Vorlesung aus dieser Ansprache machen, das würde den Rahmen des Abends sprengen. Deshalb verweise ich hier auf Ludwig Schmidt-Herbs neue Chronik Rohrbachs, die Sie im Vorraum kaufen können.

Aber ein Stück weit will ich dann doch mit Ihnen auf eine Art Zeitreise in die Vergangenheit gehen …

Beginnen wir hier und jetzt: Wir schreiben das Jahr 2016 und gucken uns erst einmal um:
Hier ist Rohrbach, der südliche Stadtteil der Universitätsstadt Heidelberg. Alt-Rohrbach mit seinen verschachtelten Häusern, das Gewann See, der Hasenleiser, Rohrbach-West, das Quartier am Turm,
das Eichendorffforum und nicht zuletzt Heidelbergs größtes Gewerbegebiet, Rohrbach-Süd. 16.700 Einwohner, ein Stadtteil, der größer ist als die meisten Städte im Umkreis, größer als Schriesheim, Ladenburg oder Eberbach.

Und nun gehen wir zurück … in großen Schritten. Jeder Schritt bringt uns 25 Jahre weiter in die Vergangenheit.

Der erste Schritt führt also ins Jahr 1991. Dort wo heute das Quartier am Turm steht und das Eichendorffforum, ist teilweise Industriebrache, teilweise wird das Gelände wirtschaftlich genutzt, von Furukawa und Nanz.

Und noch einmal 25 Jahre zurück. Wir schreiben das Jahr 1966, das Jahr der letzten Jubiläumsfeiern. Rohrbach hat etwas mehr als 10.000 Einwohner. Noch sind der Hasenleiser und Rohrbach-Süd nicht bebaut die IGH wird erst in 10 Jahren eingeweiht werden, das alte Heiligenhaus steht noch und beim heutigen EMBL ist nichts als Wald. Auch das Gewann See ist noch über 10 Jahre Ackerland und in der Rathausstraße gibt es noch keinen Beton-Penny.

Weiter geht die Reise. Noch einmal 25 Jahre zurück, ins Jahr 1941. Keine gute Zeit. Auch in Rohrbach marschieren die Schergen der Nazis. Die Synagoge hat man in Brand gesetzt, die jüdischen Mitbürger deportiert und ermordet. Rohrbach hat ca. 6.700 Einwohner. Aber wenige Jahre später sollen es schon fast 9.000 sein. Folge der Flüchtlingsströme, die das Ende des Regimes erzeugt. Boxberg und Emmertsgrund sind 1941 noch Waldgebiete, sie werden erst ab 1960 für das Wohnen erschlossen. Das Gebiet gehört dafür noch zur Rohrbacher Gemarkung. Der Rohrbach läuft noch offen. Erst 1956-1967 wird er verdohlt.

Und ein vierter Schritt in die Vergangenheit. 1916. Wilhelm II. ist noch deutscher Kaiser, wenn auch nicht mehr lange. Rohrbach und Kirchheim sind durch eine Straßenbahn verbunden, die 1901 in Betrieb ging. Das Gebiet der Großdeutschland­kaserne (das spätere Headquarter) ist Ackerland und Rohrbach ist noch selbstständig. In einer Volksabstimmung über die Eingemeindung lehnten die Rohrbacher 1920 diese ab. Doch am 1.4.1927 ist es so weit: Rohrbach wird
mit 5.227 Einwohnern nach Heidelberg eingemeindet.

Ein letztes Mal 25 Jahre … 1891 … Rohrbach hat ca. 2.650 Einwohner … und kein elektrisches Licht, das kommt erst 1902, und auch kein Gas, das kommt 1911. Und auch mit dem Verkehr sieht es anders aus als heute. Dort wo jetzt zehntausende Fahrzeuge täglich fahren, tuckerte gerade ein einsames Gefährt durch Rohrbach: Am Steuer Berta Benz bei der ersten automobilen Fernreise der Geschichte.

Warum erzähle ich Ihnen das alles? Ich finde es wichtig, dass wir uns die enormen Veränderungen bewusst machen, die in relativ kurzer Zeit stattfanden. Der älteste Mensch im Saal ist, na, sagen wir mal 90 Jahre alt, also 1926 geboren. Rohrbach ist zu dieser Zeit ein Dorf mit etwa 5.000 Einwohnern. Heute leben hier auf derselben Fläche, die ja auch den Boxberg und den Emmertsgrund umfasste, 27.000 Menschen, mehr als 5x so viele wie 1926. Menschen, deren Wurzeln in vielen Dutzend Ländern liegen. Das ist ja nicht nur ein quantitatives Problem, sondern verändert alle sozialen Zusammenhänge – nicht nur die der Neubürger.

Besonders rasant verlief die Entwicklung in den letzten 50 Jahren. In dieser Zeit sind die Neubaugebiete entstanden und die Einwohnerzahl Rohrbachs hat um fast 70 % zugenommen. Die Folgen dieser Entwicklung zeigten sich meines Erachtens vor allen Dingen im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Das war eine Zeit, in der überall die Gefahr bestand, dass Stadtteile mehr oder minder zu Schlafstätten werden. Hier bei uns drohte nicht nur der Rohrbach Markt zu verwaisen.
Dass diese Entwicklung nicht zu einem Verlust der Identität des Stadtteils führte, hat damit zu tun, dass es gelang, rechtzeitig gegenzusteuern.

Der erste Schritt war meines Erachtens die Verlegung des Wochenmarktes vom Kerweplatz an das Alte Rathaus. Der Wochenmarkt hatte dort ein trauriges Dasein gefristet. Es gab nur noch einen einzigen Stand und wenig Kunden. Viele Marktbesucher kauften am Samstag in anderen Stadtteilen ein. Die Verlegung des Wochenmarkts an das Alte Rathaus brachte einen unglaublichen Aufschwung. Seither gibt es ein halbes Dutzend Stände, die bestens besucht sind, was auch mehr Leben in die Rathausstraße bringt und so auch den ansässigen Geschäften hilft.

Der zweite Schritt war dann der Umbau am Rohrbach Markt – vorher ein tristes Gebilde, das Ost- und West-Rohrbach durch eine Haltestelle, die mitten auf dem Verbindungsweg lag, voneinander trennte. Viele Geschäfte standen hier leer. Trotzdem versuchten einzelne Gewerbetreibende die Pläne zum Umbau noch in letzter Minute zu vereiteln. Zum Glück ist das nicht gelungen. Der Umbau fand statt und heute ist Rohrbach Markt wieder ein lebendiges Zentrum unseres Stadtteils.

Der dritte große Schritt war schließlich der Umbau des Rathausplatzes. Damit bekam das Gebiet das Aussehen, dass seiner Bedeutung schon lange zukam.

Der vierte Schritt war schließlich die Wiederbelebung der Idee, Rohrbach als Weinort zu positionieren. Hierzu haben die Aktivitäten Vieler, nicht zuletzt die des
Obst-, Garten- und Weinbauvereins mit beigetragen.

Durch all diese Schritte wurde das Gewerbe in Rohrbach gesichert und auf die Straßen im Zentrum kehrte das Leben zurück. Diese Erfolge waren nicht zuletzt deshalb möglich, weil in Rohrbach, im Gegensatz zu manch anderem Stadtteil, Alt- und Neubürger in dieser Frage an einem Strang zogen.

Ein Stück weit ist es uns gelungen, hier ein Konzept zu leben, das Stadtteile als lebendige Einheit sieht. Als Einheit, in der eine Vielfalt an Kulturen zusammenlebt, ohne das Ganze aus den Augen zu verlieren, für das sie sich gemeinsam verantwortlich fühlen. Dieser Gedanke der Stadtteilkulturen, des Miteinanders vieler alteingesessener und neuer Kulturen, ist eine Sache, die interessanterweise an zwei sehr unterschiedlichen Orten ganz ähnlich diskutiert wird:
in eher konservativen Kreisen in Österreich und in rot-grünen Kreisen im Ruhrgebiet.

Erst kürzlich sagte Robert Kaltenbrunner, vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung in einem Vortrag in der Südstadt:„Im Alltag sind Stadtteil und Kiez die wohl wichtigste Ebene, um das urbane Miteinander zu organisieren“.

Allerdings, und das sei mir am Rande des Manuskripts gestattet, allerdings ist dieser Gedanke leider in Heidelberg noch nicht wirklich angekommen, weder bei der Stadt noch im Gemeinderat. Hier diskutiert man z. B. allen Ernstes neue Kulturleitlinien und die Stadtteilvereine, die Gesangsvereine, die Musikvereine, die Vereine insgesamt, die doch wirklich eine breite Basis-Kulturarbeit leisten, werden mit keiner Silbe erwähnt. Das kann nun wirklich nicht so bleiben. Auf diesem Gebiet hat Heidelberg –
bei aller kulturellen Fortschrittlichkeit  – leider noch einen großen Nachholbedarf.

Heimat

Aber zurück zum eigentlichen Thema und zurück zum Begriff „Heimat”. Nun aber nicht mehr zu einem Heimatbegriff, der eng ist und spießig. Zumal in einer Zeit, in der ihn zu viele in den Mund nehmen, für die er nichts Positives darstellt, sondern nur eine Kampfansage ist, gegen die, die ausgegrenzt werden sollen.

Und auch nicht zurück bei einem Begriff von Heimat, der eine fast religiöse Utopie postuliert. Sondern zu einem ganz konkreten Bild von Heimat, bei dem es um etwas geht, das genau hier ist – und genau jetzt.

„Heimat ist Tiefe, nicht Enge”, sagte der Hanns Koren, ehemaliger Kulturpolitiker und Nationalratsabgeordneter der ÖVP und steirischer Landtagspräsident. Er setzte sich in vielen Reden und Schriften mit dem auseinander, was „Heimat” und „Kultur” in Zeiten der Globalisierung bedeuten können.

Koren sagt: „Fortschritt natürlich muss sein. Aber man muss auch wissen, von wo aus man fortschreitet, wo man steht, wo man Tritt fassen kann … aber es ist ebenso gegen die menschliche Natur, sich in Traditionen zu fixieren, jeden Schritt in geistiges, künstlerisches und gesellschaftliches Neuland als Treulosigkeit und Landesverrat zu verdammen.”

Die Folge der gesellschaftlichen Veränderungen in den letzten Jahrzehnten ist, dass heute niemand mehr einfach in Heimat hineingeboren wird, man muss sie sich erarbeiten – derjenige, der Heimat sucht genauso wie jene, die Heimat sein möchten.

Diana Kinnert, die gerade mal 25 Jahre alt ist und bereits das Büro von Peter Hintze in Berlin leitet, meint: „Heimat entsteht nicht durch Geburt. Sie entsteht nicht in Abgrenzung zu etwas … Heimat ist Verbundenheit in Freiheit. Heimat meint Verantwortung, Anteilnahme, Mitwirkung.” Dass man sich heute Heimat erarbeiten muss, ist also nicht nur ein Nachteil. Es heißt auch, dass man sie sich erarbeiten kann.

Wie viel ist geschehen, seit wir hier das letzte Jubiläum feierten. 1966 war Deutschland ein anderes Land. Heute hat jeder Fünfte einen Migrationshintergrund. Damals gab kaum Fremde im Land. „Gastarbeiter” nannte man sie und dachte, diese würden bald wieder gehen. Aras Ören, einer von ihnen, schrieb 1978:

„Wenn du jetzt zurück schaust auf die sechziger Jahre, stellt sich heraus, dass deine Gedanken
über uns falsch waren. Die weggehen, gehen.
Die bleiben, schlagen hier Wurzeln …
Es ist die Wirklichkeit, die sich leise unter dem Wasser fortbewegt. Auf eine neue Wirklichkeit bewegen wir uns zu, und ihr mit uns.”

Ja, es ist viel geschehen, seit wir das letzte Jubiläum feierten. Kann das Rohrbach von heute Heimat sein? Für sehr viele ganz sicher. Ich denke an jemanden, der hier aufwuchs, seit seiner Kindheit im Chor singt. Und nun selbst den Chor leitet. Ich habe ihn nicht gefragt, nehme aber an, dass Rohrbach für ihn ganz selbstverständlich Heimat ist.

Aber wie ist das mit der SAP-Angestellten, die einige Jahre im Ausland zubrachte und nun mit ihrer Familie im Quartier lebt? Wie empfinden das die Architekten, die versuchen, alte Gebäude in Rohrbach behutsam umzubauen oder neue einzufügen? Und wie sieht das der Schneider, dessen Wurzeln in der Türkei liegen und der seit Jahrzehnten bei uns lebt? Und wie erst ein Flüchtling, den die Not aus seinem Heimatland zu uns getrieben hat?

Winfried Kretschmann, selbst Kind Heimatvertriebener, sagt: „Weil wir heimatverbunden sind, können wir in besonderem Maße nachvollziehen, was es heißt, vertrieben zu werden.“

Heimat Rohrbach

Kommen wir zum Schluss noch einmal zu dem eingangs zitierten Wort von Ernst Bloch und lenken wir unsere Aufmerksamkeit auf einen Teil, den man leicht überliest. Bloch sagt „… so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.”

Was für ein schönes Bild. Auch wenn Bloch „Heimat” in ein noch-nicht-irdisches Paradies verlegt, so denkt er doch, dass sie uns allen in die Kindheit scheint.

Aber auch für Kinder ist das heute nicht mehr selbstverständlich. Apps und Computerspiele vermitteln keine Heimat. Das tun die Vereine, der Sport, das tun die Traditionen wie der Sommertagszug … Und auch deshalb müssen wir diese am Leben halten.

Das ist unsere Aufgabe hier und heute: die Gesellschaft offen zu halten. Und sie zusammenzuhalten, nicht sie zu spalten. Dass wir mithelfen, dass Heimat für diejenigen Heimat bleibt, die schon immer hier leben. Und dass die, die neu dazu kommen, hier eine Heimat finden können – wenn sie das denn wollen. Vor allem aber dafür zu sorgen, dass unsere Kinder eine Heimat finden, die sie stark macht.

Der Dichter Gorch Fock beschrieb das so:„Mit der Heimat im Herzen die Welt umfassen”. In diesem Sinne wünsche ich uns allen, dass es uns gelingt, unsere Geschichte, unsere Traditionen und unsere Identität zu wahren und zugleich offen sein und zu bleiben für Neues und neue Menschen in unserer Mitte.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit …